Religioni e Sacri Monti

Tuniz, Dorino (Hrsg.): I Sacri Monti nella cultura religiosa e artistica del Nord Italia. . Cinisello Balsamo 2005 : Edizioni San Paolo, ISBN 88-215-5444-9 297 S., Abb.

Barbero, Amilcare; Piano, Stefano (Hrsg.): Religioni e Sacri Monti. Atti del Convegno Internazionale Torino, Moncalvo, Casale Monferrato 12–16 ottobre 2004. Ponzano Monferrato 2006 : Centro di Documentazione dei Sacri Monti, Calvari e Complessi devozionali europei, ISBN 88-89081-04-X 398 S., Abb., Karten

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Hersche

Die «Heiligen Berge», jene zahlreichen, im Barock entstandenen und vor allem am Südabhang der Alpen gelegenen monumentalen Sakralbauten in Form eines zu einer Höhenkuppe führenden Kapellenkranzes mit darin befindlichen, theatralisch-realistischen künstlerischen Darstellungen der Passion Jesu oder des Lebens Mariä, bzw. eines Heiligen, wurden schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom reisenden Engländer Samuel Butler wiederentdeckt und sind seit etwa dreissig Jahren Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung. Fast gleichzeitig setzten durch den italienischen Staat auch Massnahmen zum Schutze dieser Denkmäler und ihrer meist reizvollen landschaftlichen Umgebung ein; ebenso wurden seitdem einige vom Zerfall bedrohte Bauten renoviert. Diese Bemühungen wurden 2003 durch die Aufnahme von sieben im Piemont gelegenen Sacri Monti ins UNESCO-Weltkulturerbe gekrönt, ihre Umgebung zu Naturparks erklärt.

Die beiden vorliegenden grossformatigen Bücher sind die vorläufig letzten einer ganzen Reihe von prächtig illustrierten Werken zum faszinierenden Objekt der Heiligen Berge. Der von Tuniz herausgebene Band setzt sich zunächst in fünf Einzelbeiträgen allgemein mit dem Zusammenhang von Bergen und Religion, im besonderen der christlichen Frömmigkeit, auseinander. Er ist, wie wir noch sehen werden, allgemein; was das Christentum anbelangt, so gibt es schon im Alten Testament 558, im Neuen ebenfalls einige Dutzend Hinweise auf Heilige Berge: Sinai, Tabor, Karmel, Golgatha sind nur die bekanntesten. Die italienischen Sacri Monti, insbesondere der älteste und grösste in Varallo/Sesia, verdanken allerdings ihr Entstehen einem konkreten Anlass. Sie sollten die in der Neuzeit schwierig gewordene Wallfahrt ins Heilige Land ersetzen, indem man sich in der Heimat mit einem Nachbau der bekannten dortigen Heiligen Stätten auf engstem Raum begnügte. Idealearweise wurde also der Kreuzweg nachgezeichnet und der Gläubige zur pietätvollen Begehung aufgefordert, wodurch die Heiligen Berge insgesamt auch zu Wallfahrtsorten wurden. Damit gehören sie, wie vor allem Danilo Zardin unterstreicht, in den Zusammenhang der gegenreformatorischen Bemühungen um eine erneuerte Frömmigkeit. Die Heilsgeheimnisse sollten nach dem alten Muster der «Biblia pauperum» allen bildlich vor Augen gestellt werden. Das geschah bei den Sacri Monti in einem bisher unerreichten Realitätsgrad. Riesige Summen wurden für den Bau aufgewandt; viele Projekte blieben, wie der Herausgeber in seinem Beitrag erwähnt, infolgedessen auch Papier oder bauliches Fragment. Die frühere Hypothese, die Sacri Monti sollten die Funktion einer Vormauer gegen den vom Norden hereindringenden Protestantismus sein, wird von Zardin fallengelassen. In der Tat gab es ähnliche, etwas weniger aufwendige Unternehmungen auch im katholischen Norden. Am ehesten vergleichbar sind vielleicht die polnischen Kalvarienberge, von denen der bedeutendste, Kalwaria Zebrzydowska, schon 1999 die UNESCO-Weihen erhielt. Aber auch in der Habsburgermonarchie, in Bayern, den deutschen geistlichen Staaten oder der Bretagne gibt es Vergleichbares. Der zweite Teil des Bandes stellt dann die zehn wichtigsten piemontesischen und lombardischen Sacri Monti in Einzeldarstellungen vor. Es fehlen diejenigen im Veneto, wo die Forschung noch nicht so weit gediehen ist.

Der noch umfangreichere Band von Barbero/Piano weitet das Thema vom Christentum auf andere Weltreligionen aus. Er ist das Ergebnis einer Tagung, welche ein nahe dem Sacro Monte von Crea (Montferrat) gelegenes Dokumentations- und Forschungszentrum zusammen mit der Universität Turin veranstaltete. Jenes gab schon früher verschiedene nützliche Werke in diesem Zusammenhang heraus, etwa eine Neuedition des Reiseberichts von Butler, sowie ein Inventar von nicht weniger als 1812 europäischen Kalvarienbergen (2004, bzw. 2001). Wenigstens erwähnt werden muss hier allerdings, dass etwa gleichzeitig für die italienischen Sacri Monti von dem anerkannten, aber offenbar in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zum «Centro» stehenden Forscher Luigi Zanzi eine ausführlichere und ebenfalls prächtig bebilderte Bestandesaufnahme herausgegeben wurde: Luigi Zanzi/Paolo Zanzi, Atlante dei Sacri Monti prealpini, Milano, Skira, 2002). Im Zeitalter einer wiedererwachten Globalgeschichte lag diese Ausweitung in der Luft; von anderen Ansätzen aus befasste sich nämlich auch eine Sektion des Historikerkongresses in Sydney mit dem Thema «Berge und Religion» (vgl. die Beiträge in «Mountain Research and Development », Jg. 26, Heft 4, 2006). In der Tat gibt es beim Gebirge eine ganze Reihe von sakralen Bezügen und dies in vielen Religionen: Die Berge als Sitz der Götter, als Aufenthaltsorte von Religionsstiftern und Heiligen, als Symbol des aufsteigenden Lebensweges, als Rückzugsmöglichkeit für Mönche und Eremiten, als Ziel von Wallfahrten usw. Umgekehrt wurden seit dem Zikkurat für Sakralbauten Berge nachgeahmt, galten aber auch etwa in Indien die von den Bergen niederkommenden Flüsse als heilig. Die inmitten der Landschaft der italienischen Sacri Monti abgehaltene Tagung versammelte Historiker, Kunsthistoriker, Religionswissenschafter, Kulturanthropologen und Gelehrte der mit den dort vertretenen aussereuropäischen Gebiete befassten Wissenschaften (Islamistik, Indologie usw.). Ausgangspunkt waren auch hier allgemeine Ueberlegungen über das «Heilige» der Berge, gefolgt von einigen wenigen Beiträgen speziell zum Christentum. Hervorheben möchte ich diejenigen von Matus und Comba, ebenso die «comunicazione» von Swaryczwska, weil sie auch die aktuelle Problematik dieser Bergheiligtümer weltweit thematisieren. Das UNESCO-Gütesiegel für Kulturdenkmäler ist nämlich eine nicht ganz unproblematische Sache. Es kann zwar die Erhaltung der Monumente unterstützen helfen, führt aber in der Regel auch zu einen bislang unbekannten Besucherzustrom (in Crea sollen es jährlich 300’000 Personen sein), der eben das Anliegen des Schutzes wieder unterlaufen kann und meist hässliche Infrastrukturanlagen nach sich zieht. Bei sakralen Denkmälern, die eigentlich dem Rückzug von der profanen Welt, der Andacht und Meditation, der Heilserwartung und Sinnsuche dienen sollten, wird dieses Problem noch verschärft. Vor allem wenn sich neben den immerhin an der Schönheit der Objekte interessierten Kulturtouristen etwa noch Sportler auf den Heiligen Bergen tummeln. Die Beiträge zu den aussereuropäischen Heiligen Bergen bilden zahlenmässig die Mehrheit des Bandes von Barbero/Piano, in dieser Ausweitung der Thematik liegt zweifellos das Hauptverdienst ihrer Publikation. Es fällt allerdings auf, dass sich relativ viele Referate mit dem Hinduismus und Buddhismus befassen. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass der Mitorganisator und -herausgeber Stefano Piano Indologie an der Universität Turin lehrt und hier einen Schwerpunkt setzte. Andererseits sind wenigstens auf den ersten Blick die Analogien zu christlichen Auffassungen in diesen beiden führenden asiatischen Religionen besonders häufig. Erst bei genauerer Betrachtung treten dann die selbstverständlichen Differenzen hervor. Was (textlich, wenn auch nicht bildllich) fehlt und nur bei Comba beiläufig erwähnt wird, sind Beiträge zu den Heiligen Bergen indigener Religionen, also etwa der australischen Ureinwohner (Ayers Rock), der nordamerikanischen Indianer (Devils Tower) und ebenso der präkolumbianischen Kulturen in Lateinamerika. Auch auf den mitgegebenen Karten sind sie nur teilweise aufgeführt. Da gäbe es sicher noch einiges zu entdecken. Zu den übrigen Forschungsfeldern bietet der Band aber reiche Information, deren Reichweite höchstens durch die Sprache, durchwegs italienisch, begrenzt wird.

Die graphische Gestaltung und das Bildmaterial sind bei beiden Bänden fast durchwegs hervorragend. Das ist nicht ganz unwichtig, wie sich der Rezensent bei einem kürzlichen Besuch zweier italienischen Sacri Monti überzeugen konnte. Im Gegensatz zu früher sind nämlich die Gitteröffnungen der Kapellen nun teilweise zusätzlich mit einer Verglasung versehen. Die Absicht, die Kunstobjekte vor Staub oder gar zerstörerischen Einwirkungen zu schützen, ist gewiss zu billigen. Aber je nach Sonnenstand sieht man so wegen der Spiegelung vom Innern wenig bis gar nichts. Das ist ärgerlich. Umso erfreulicher aber, wenn man zu Hause bequem sich durch die Bilder blättern kann.

Zitierweise:
Peter Hersche: Rezension zu: Dorino Tuniz (Hg.), I Sacri Monti nella cultura religiosa e artistica del Nord Italia, Cinisello Balsamo, Edizioni San Paolo, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 370-372.

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